Weißt du noch, als wir uns die ganze Zeit Nachrichten geschrieben haben? Als wir stundenlang über Gott und die Welt gequatscht haben? Wir haben alles inhaliert, was wir voneinander gehört haben und uns viele viele Fragen gestellt. Alles wollten wir voneinander wissen. Irgendwann ist diese Euphorie der Illusion gewichen, dass ich dich kenne, in-und auswendig, und in letzter Zeit, wenn ich dich sehe, fallen mir immer mehr deine negativen Seiten auf. Wenn ich ins Zimmer komme, guckst du gar nicht vom Handy hoch – wir leben zwar miteinander, aber aneinander vorbei.
Eins der allerschönsten Geschenke, die wir dem Menschen an unserer Seite schenken können, ist Aufmerksamkeit. Ungeteilte Aufmerksamkeit. Denn die meisten Beziehungen zerbrechen nicht an zu wenig Sex. Oder der Frage, wer mehr für die Ordnung im gemeinsamen Heim tut. Oder was wir in der Freizeit so machen wollen.
Sondern an dem traurigen Gefühl, nicht gehört und gesehen zu werden.
Was hilft? Miteinander im Gespräch bleiben. Offen, neugierig, immer erwartend, dass wir Überraschungen erleben. Denn in letzter Konsequenz kennen wir den*die andere*n nie ganz. Wie können wir einander wirklich nahe kommen und das Gefühl geben, gesehen und gehört zu sein? Gewertschätzt mit allen Facetten, sogar denen, die ich nicht verstehe? Indem wir uns, in einer Welt voller Ablenkungen und Überforderungen, echte Aufmerksamkeit schenken. Echte Aufmerksamkeit erfordert, dass wir uns in einen Zustand der Offenheit begeben. Die Frage “Wie war dein Tag” kann komplett routiniert, gelangweilt und stereotyp gestellt sein – ohne, dass ich an deiner Antwort wirklich interessiert bin. Ich kann dich aber auch fragen: Wie war dein Tag? Und damit meinen: Erzähl mir gerne, was du erlebt hast, was du dabei gefühlt hast, wann hast du dich mit wem wohl gefühlt, wann hast du dich unwohl gefühlt und warum?
Aufmerksamkeit benötigt Zeit und Hingabe. Ungeteilte Aufmerksamkeit bedeutet zum Beispiel auch, immer wieder das Handy weg zu legen oder sich Auszeiten mit Babysitter zu nehmen. Wir sollten lernen, die richtigen Fragen zu stellen, lernen, wirklich zuzuhören, und nicht zu denken: “Das weiß ich doch alles schon über dich.”
Wir sollten uns daran erinnern, dass wir uns alle ständig verändern und wir deswegen immer wieder neue Facetten an unserem Gegenüber erleben dürfen: ”Ich glaube zwar, deine Antwort zu kennen, aber kann mich auch täuschen!”
Aufmerksamkeit bedeutet aber auch, ins Mitgefühl gehen zu können für Gefühle, die wir nicht mit dem anderen teilen. Aufmerksamkeit bedeutet, dass wir den Gefühlen des Partners Respekt entgegen bringen, zum Beispiel kann eine Untersuchung beim Arzt für den Partner sehr aufregend sein, auch wenn ich denke, dass es eigentlich eine Routineuntersuchung ist. Aufmerksamkeit kann auch bedeuten, dass ich dem Partner rückmelde, wie ich ihn*sie gerade erlebe. Dass ich mir sein*ihr Gesicht beim Essen wirklich anschaue und versuche zu ergründen, was ich darin sehe. Oder dass ich leise aufstehe, wenn ich weiß, dass mein Partner noch schlafen will. Aufmerksam sein kann sein, dass ich echte Komplimente mache, die im Moment entstehen. Dass ich mich für seine*ihre Sorgen interessiere. Dass ich an besondere Tage wie z.B. Hochzeitstag denke. Dass ich meinem Partner auch in Gesprächen mit anderen zuhöre. Wenn wir wirklich wollen, finden sich im Alltag unzählige Gelegenheiten für kleine Aufmerksamkeiten, die verbinden und das Gefühl geben, gesehen und gehört zu werden. Kleine Liebeszettel, Lieblingsessen besorgen, ungefragte Botengänge (Paket wegbringen etc), dem*der anderen etwas zeigen, wovon man weiß, dass es Freude bereitet (z.B. auf einer Autofahrt), an wichtige Meilensteine im Leben des Partners denken (z.B. Präsentation auf Arbeit).